Es ist jetzt genau einen Monat her, seit wir Vollmond und Hurricane Irma hatten. Seitdem hat sich sehr, sehr vieles verändert. Eigentlich ist nichts mehr so wie vorher. Es gibt hier jetzt eine neue Zeitrechnung: “Pre Irma” und “Post Irma”.
Momentan weiß man weder ob bestimmte Geschäfte aufhaben, oder überhaupt je wieder aufmachen werden oder wo sich jemand gerade befindet. Manch einer ist nach Europa evakuiert worden und hat in der Eile nur einen Rucksack mitnehmen dürfen und sein Zuhause, seine Sachen, sein Auto und sogar seine Haustiere zurücklassen müssen. Viele Haustiere sind noch in Wohnungen eingesperrt, oder laufen einfach so frei rum… Gestern wurden knapp 200 Hunde und Katzen von der Insel nach Miami evakuiert und werden von dort aus weiter vermittelt an Familien in den USA.
Manch eine Firma hat schließen und alle Mitarbeiter entlassen müssen. Manch einer wartet noch immer auf die Begutachtung durch die Versicherung, andere stehen in langen Schlangen in der Sonne an, um sich arbeitslos zu melden oder um nach Essen und Wasser anzustehen.
Hier ein Beispiel: Now jobless and homeless….
Die Infrastruktur ist soweit wiederhergestellt, dass man mit dem Auto überall lang fahren kann und jede Ecke der Insel erreichen kann. Riesige Berge von abgerissenen Dachteilen, Schrott und Hausmüll türmen sich hier und da. Überall wird auf den Dächern gehämmert und Folie verspannt.
Es ist Wahnsinn, wie schnell die Räumungstrupps diese Massen an Trümmern bewegt haben. Die Regierung zahlt 50 Euro für 6 Stunden Räumdienst in der prallen Sonne. Die Arbeiter bekommen auch Essen und Trinken frei. Die Bäckereien und Restaurants, die betriebsfähig sind, bekommen ein gewisses Kontingent an Lebensmitteln und einen Generator von der Regierung gestellt und die fertig zubereiteten Gerichte werden dann an die Arbeiter ausgeteilt. Dadurch haben diese Menschen Arbeit und Essen und das Restaurant Einnahmen.
Mehr als die Hälfte der Lehrer, Sozialarbeiter und Beamten etc. hat die Insel fluchtartig verlassen, sodass die Klassen nun im Moment sehr groß und überwiegend von einheimischen Kindern zusammengesetzt sind. Sohnemann ist bisher 1 von 3 weißen Kindern von insgesamt 31. Wir wissen, dass viele französische Familien nach Frankreich oder Guadeloupe gegangen sind und auf eine mögliche Rückkehr warten. Deren Kinder werden dann auch wieder hier zur Schule gehen und über kurz oder lang werden auch wieder Lehrer auf die Insel zurückkommen. Die Regierung zahlt ihnen auch die Flüge hierher zurück. Außerdem haben Lehrer (und Polizisten) steuerliche Vorteile, wenn sie hier auf die Insel kommen und hier arbeiten.
Momentan ist im Gespräch, aber noch nicht beschlossen, dass für alle hier auf der französischen Seite für die nächsten 3 – 6 Monate Steuererleichterungen geschaffen werden sollen, Kreditraten ausgesetzt werden sollen und 100% Arbeitslosengeld gezahlt werden soll, um den Menschen hier zu helfen. Viele Menschen haben direkt nach Irma die Kündigung von ihrem Chef erhalten, nachdem das Geschäft völlig zerstört wurde. Es kommen harte Monate auf uns hier zu, denn es war das Eine, den Sturm überlebt zu haben, nun gilt es die Folgen durchzustehen.
Manch einer hat einen nahen Verwandten verloren, sein Dach über dem Kopf, sein Einkommen und seine Perspektive. Es ist oft nicht leicht, wenn man jemanden trifft und fragt, wie es demjenigen geht. Die Antworten belasten besonders, wenn man denjenigen kennt und man ist oftmals total hilflos und kann denjenigen nur drücken oder Mut zu sprechen. Es ist bewundernswert mit welcher Zuversicht viele hier ihr Schicksal ertragen.
Nicht jeder ist versichert oder ausreichend versichert oder hat das nötige Kapital, um noch einmal wieder ganz von vorne anzufangen. Neue behördliche Auflagen verschärfen die Situation jetzt noch. Ein Beach Club zum Beispiel darf nur 50 Schritte vom Meer und nur noch temporär, d.h. abbaubar wieder aufgebaut werden und ist damit nicht neu versicherbar. Die Versicherungen haben nur feste und abschließbare Baubestandteile versichert, die Prämien werden allerdings nach der gesamten Fläche – also auch der Außenfläche – berechnet… manches Boot war gar nicht versichert…
© RTGH Photography
Manch Unternehmer hatte mehrere Firmen und hat sogar alle Firmen gleichzeitig verloren und steht nun vor dem Nichts. Unzählige Go-fund-Me Seiten sind derzeit im Internet zu finden. Ein Schicksal ist schlimmer als das andere.
Emotionale Ansprache vom Gründer der Loterie Farm
Die Insel hängt vollkommen vom Tourismus ab und man hat sich vorgenommen, bis zum Beginn der nächsten Saison im Oktober 2018 (also in einem Jahr) wieder den gewohnten Service anbieten zu können. Bis dahin wird jedes Restaurant und jedes Hotel, das renoviert bzw. wiedereröffnet hat, fast gefeiert. Jedes Kreuzfahrtschiff, das nach dem 11.11.2017 im Hafen in Philipsburg anlegen wird, wird ein Hoffnungsträger sein. Jeder Flieger, der nach dem 10.10.2017 wieder auf dem internationalen Flughafen landet ebenso.
Heute war die Neueröffnung des Karakter Beach Clubs in Simpson Bay … sieht doch super aus, oder!?
Es werden aber noch harte Monate für die meisten der Inselbewohner werden, denn erst muss jeder seine Wohnsituation regeln, was im günstigsten Fall bedeutet, dass alles sauber gemacht werden muss, einiges repariert, oder neu angeschafft werden muss, aber im schlimmsten Fall bedeutet, dass das Heim ganz unbewohnbar oder besetzt ist und man sich neu orientieren muss. Zum jetzigen Zeitpunkt ist aber das Angebot an Wohnraum viel kleiner als die Nachfrage, was die Mietpreise in schwindelnde Höhe treibt.
Jeder Tour-Anbieter, Segelcharter, Tauchlehrer, Hochzeitsplaner, Hotelier, Gastronom, oder Taxifahrer hat momentan keinerlei Einkommen. Handwerker, Baufirmen, Dachdecker und Tischler sind hingegen sehr gefragt und auch die Preise für Baumaterial, sofern es überhaupt zu kriegen ist, sind drastisch gestiegen. Vieles muss von außerhalb bestellt und hierher verschifft oder geflogen werden.
© RTGH Photography
Die positive Entwicklung ist, dass jeden Tag ein bisschen mehr Normalität eintritt, immer mehr Geschäfte wieder eröffnen, selbst wenn es nur ein paar Stunden und in reduzierter Angebotsform ist. Die Menschen kommen dann dort zusammen und man sieht sich mal wieder. Das schweißt auch zusammen!
Viele helfende Hände sind noch immer vor Ort. Technisches, schweres Gerät und viele Hilfen kommen noch am Hafen an. Wir haben das Glück, dass wir aus Frankreich und Holland unterstützt werden. Und dennoch kommt nicht immer alles an den Stellen an, wo es am dringendsten benötigt wird. Unmut macht sich dann in der Bevölkerung breit…einige schimpfen schon lautstark.
Wir selber haben noch immer kein fließendes Wasser, kein Internet, kein Telefon, unser Apartment weist grobe Mängel auf, unsere Marketing Firma und die Touren werden viele Monate keinerlei Umsatz haben, aber wir haben es noch immer besser als viele andere und dafür sind wir dankbar. Wir unterstützen andere so gut es geht und helfen wo wir können. Die Versicherung hat sich auch noch nicht bei uns gemeldet, alles hängt noch in der Schwebe und wir kommen nicht in dem Tempo weiter, wie wir es gerne hätten. Geduld ist jetzt gefragt!
Die amerikanischen Touristen signalisieren, dass sie sobald die Insel für Touristen geöffnet wird, sofort herkommen und Urlaub machen wollen. Sie wollen “ihre” Insel unterstützen, viele haben Eigentum hier und ebenso ein Interesse, die Insel wieder auf Kurs zu bringen. Wir sind zuversichtlich, dass es in 6 Monaten schon wieder anders aussehen wird als jetzt und in 2 Jahren wird die Insel sogar “better than ever” sein.
Immer wieder entdecken wir Ecken, die wir noch nicht gesehen und kaum wiedererkannt haben, weil sie von dem Sturm massiv verändert wurden. Die Gewalt, mit der der Sturm Irma hier gewütet hat, ist immer wieder erkennbar und man kann es selbst kaum glauben, obwohl man es ja erlebt hat.
Hier die Boot Drifts Bar am Maho Beach…ohne das Boot….das fand man vollkommen zerstört in der Binnen Lagune – hinter dem ganz anderen Ende der Start- und Landebahn.
Eines ist sicher, die Menschen hier sind gemeinsam durch diese Hölle gegangen und versuchen auch weiterhin gemeinsam die Folgen dieser Katastrophe zu ertragen und sich gegenseitig Mut zu machen. Die Locals sagen, dass wir dem Herrn danken sollen, dass wir überlebt haben, wir sollen uns den Staub abklopfen und die Ärmel hochkrempeln und weitermachen. Es wird schon werden….
We will rise again! singt Percy Rankin.
Ich bin eher zufällig über diesen Artikel gestolpert und voller Interesse gelesen. Ist doch anders, die Lage von jemandem vor Ort geschildert zu bekommen, als von den Nachrichten. Ich wünsche euch alles Gute und viel Kraft.
Lieben Dank!
Danke Dir!