Wir sind ausgewandert und haben uns damals gegenseitig alle drei versprochen, dass wir, wenn einer von uns wirklich Heimweh bekommen sollte, wir alle mit demjenigen wieder nach Deutschland zurückgehen würden. Wir gehen zu dritt weg und kommen zu dritt wieder war damals die Devise.
Mittlerweile ist unser Sohn fast volljährig und er hat sich hier von Anfang an so gut eingelebt, dass weder er noch wir eine Sekunde lang Heimweh hatten. Wir haben nicht einmal Lust, nur für 2 Wochen nach Europa zu fliegen. Im Winter ist es uns dort viel zu kalt und im Sommer reicht uns ein Blick in die Schlagzeilen der Nachrichten, damit wir uns ein anderes Urlaubsziel suchen.
Uns reizt vielmehr mit dem Segelboot die umliegenden Inseln abzuklappern und wir waren diesem Traumurlaub auch schon sehr nahe, doch dann kam dieser blöde Sturm und nun muss der Urlaub erstmal wieder warten.
Photocredit : IRM Photography
Jetzt gilt es hier aufzubauen – jede helfende Hand wird hier noch benötigt. Wir können jetzt einfach gar nicht hier weg. Das geht nicht, solange hier noch so viele Menschen mit offenen Dächern leben und wir so viel zu tun haben, um auch unser selbst neu zu organisieren. Wir basteln derzeit an einer tollen Neuerung und sind schon ganz aufgeregt, diese in den Markt hier einzuführen.
Nicht mal an Weihnachten haben wir Heimweh. Das hätte ich damals nicht gedacht, als wir den Schritt hierher gewagt haben. Ich persönlich hatte geglaubt, dass zumindest an Weihnachten vielleicht das Heimweh nagt, aber nichts davon. Es wird unser 3. Weihnachten hier und auch wenn es sich jetzt nicht mehr wie eine Art Dauerurlaub hier anfühlt, sondern es sich wie zuhause anfühlt, vermissen wir weder die Weihnachtsmärkte mit Glühwein und Mandeln noch den Christstollen und schon gar nicht die nass-kalten Tage in Norddeutschland.
Wenn wir wirklich mal wieder das Verlangen nach Schnee und Bergen bekommen sollten, fliegen wir in die Staaten oder nach Kanada. Da sind wir viel schneller und da liegt dann auch richtig Schnee!
Was wir auch gar nicht vermissen, ist diese tragende Melancholie, diese Dunkelheit in der Weihnachtszeit und die Schwermütigkeit, die auch in den Gottesdiensten in Deutschland meistens vorherrscht. Hier ist die Grundstimmung leicht, fröhlich, lachend – egal wie die Lebensumstände sind. Selbst jetzt, wo es für viele hier durch den Hurricane sehr schwer ist, glauben sie an den Herrn und der wird es richten. Sie haben dieses Gottvertrauen, dass wir Europäer oft nicht kennen. Wir hinterfragen, zweifeln, zaudern, während die Menschen hier oft sagen: „Don’t worry about a thing – every little thing is gonna be alright“ (Bob Marley)
Die Franzosen fühlen sich momentan etwas von ihrer Regierung im Stich gelassen, denn obwohl die Armee kam und hier die Infrastruktur wiederhergestellt hat und aufgeräumt wurde wie verrückt, lassen die Baugenehmigungen und die Regulierungen mit den Versicherungen und Rückversicherern auf sich warten. Viele haben seit Monaten kein Einkommen, Arbeitslosengeld wurde zugesagt, aber bisher nicht ausgezahlt. Überall vor den Ämtern, Banken, Versicherungen, Telefon- und Internetanbieter sind nach wie vor ewig lange Schlangen. Wenn man denkt, die Deutschen seien Bürokraten, dann müssen die Franzosen Bürokratie erfunden haben!
Alles dauert und muss von hier nach Guadeloupe eingereicht werden und von dort geht es dann nach Paris. Die zugesagten Gelder von 5 Millionen Euro werden bei weitem für den Wiederaufbau nicht reichen. Man will nicht zu sehr von Frankreich und Brüssel aus regiert werden, die Sonderstellung behalten. Ausländischen Investoren steht man derzeit kritisch gegenüber. Ein echtes Dilemma, denn kostbare Zeit verstreicht und es passiert augenscheinlich momentan nicht viel. Die Geschäftsleute und deren Angestellten werden ungeduldig. Immer mehr Leute werden entlassen….viele müssen die Insel verlassen, um anderswo Arbeit zu finden. Die Mietpreise steigen…
Wenn man dann bedenkt, dass momentan auf der holländischen Seite nur an Locals Lizenzen für die Verkaufsstände in Strandnähe vergeben werden, mutet es einem aus Sicht eines ausländischen Mitbewohners schon komisch an, denn diese Bevorzugung der einheimischen Bevölkerung kennt man derzeit in Europa ja gar nicht.
Die St. Maartener versuchen ihre Bevölkerung momentan noch mehr vor Außeneinflüssen zu schützen, als sie es schon vor dem Hurricane getan haben. Groß ist auch die Angst, wieder Autonomie an Holland zu verlieren. Es ist für uns Deutschen sehr schwierig dort eine Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, es sei denn man bringt genug Kapital mit. Wer ein Business gründet, eine Immobilie kauft oder Know-How mitbringt, das sonst keiner hat, kann bleiben, aber auch er/sie muss dann 5 Jahre lang jährlich einen aufwendigen Prozess durchlaufen. Jedes Mal heißt es dann zahlen, bangen und warten…
Als Ausländer, der wir hier ja nun mal sind, haben wir uns hier an alle Spielregeln zu halten und uns an die Gepflogenheiten anzupassen, ob uns diese gefallen, oder nicht, spielt dabei gar keine Rolle! Wir sind Gäste zweier Länder hier und wollen das auch bleiben. Die Gastfreundschaft der Insulaner ist groß, auch wenn diese oft ausgenutzt wurde in der Vergangenheit. Grundsätzlich sind die Bewohner offen und freundlich, sofern man sie ebenso behandelt.
Wir genießen die lebensfrohe Art und die Hilfsbereitschaft unter einander. Wir lieben die Nähe zur Natur und zum Meer und die geduldige und zuversichtliche Lebenseinstellung der Menschen ist einfach ansteckend und inspirierend. Das ist etwas, dass wir in unserem doch eher hektisch-egoistischen Alltag in Europa oft vergessen….
MERRY CHRISTMAS! Joyeux Noel ! Frohes Fest !