Zauber der Karibik in der Meer & Yachten

Serious Fun” Über Dem Winde

WER IM EUROPÄISCHEN WINTER EINFACH MAL RICHTIG SCHÖN SEGELN WILL, KANN DIES IN DER KARIBIK TUN. UND WER ANSPRUCHSVOLL UND TROTZDEM ENTSPANNT REGATTA SEGELN WILL, MUSS IN DIE KARIBIK, ZUM BEISPIEL NACH SINT MAARTEN.

MEER & YACHTEN-AUTOR HANS-HARALD SCHACK, SELBST ERFAHRENER SEGLER, WAR BEI DER HEINEKEN-REGATTA AN BORD DER TEAM JAJO, EINEM VOLVO 65-RACER, DABEI


Der Volvo 65 TEAM JAJO fliegt förmlich übers Meer – die Volvos sind zwar keine Foiler, aber in vier Meter Höhe am Ruder stehen und mit 22 Knoten im warmen Passat dahin zu preschen, kommt dem Gefühl des Fliegens schon recht nah. Hin und wieder fegt ein wenig Spritzwasser über Deck, das gleich wieder trocknet. Kein Grund, Ölzeug anzuziehen. Mit Segelshorts und Spraytop ist man bestens bedient. An Bord der JAJO sind langärmelige Shirts angesagt, wegen der Sonne. Die Heineken-Regatta ist eine der großen Karibik-Regatten, aber was haben Volvo 65 hier zu suchen? Sollten die nicht im Ocean Race irgendwo südlich der großen Kaps sein? „No, die Zeiten sind vorbei“, lacht JAJO -Skipper Jelmer van Beek (28). „Wir sind das Ocean Race nur bis zu den Kapverden gesegelt, und dann in die Karibik. Gleich nach der Heineken Regatta geht es zurück, und dann sind wir ab Dänemark wieder auf den Schluss-Etappen des Ocean Race dabei.“

So wie die JAJO machen es alle Volvo 65. Für sie wurde die „Weltumsegelung“ um die Etappen 2 bis 5 gekürzt, sie sind erst wieder im Juni ab Aarhus dabei. Während fünf Imocas (darunter Boris Herrmanns MALIZIA) im einstigen Volvo Ocean Race um die Welt segeln, lassen es sich ihre Vorgänger in der Wärme der Karibik gut gehen. In St. Maarten sind vier Volvo 65 und zwei Volvo 70 am Start, sie sind hier die Platzhirsche. 2022 waren sogar noch größere Schiffe da, darunter LEOPARD 3 (Farr 100) und zwei Botín 85. Ein Winter in der Karibik hat handfeste Vorteile für die Sponsoren. Man sieht sich und wird gesehen, man feiert und segelt. Vor St. Maarten stehen Mitarbeiter und Geschäftsfreunde des holländischen Sponsors an den Grindern, während Lisa, Laura und Maja die Segel trimmen. Die Stammcrew von TEAM JAJO ist unter 30 und segelt hier Regatta, was die beste Form von Training ist. Team-Chef Bouwe Bekking, der alte Whitbread und Volvo-Haudegen, ist nach Hause geflogen. Der Carribean International Race Circuit umfasst dieses Jahr 17 Regatten, die Atlantic Rallye for Cruisers und das RORC Transatlantic mitgerechnet. Da ist für jeden was dabei. Von der Grenada Sailing Week (siehe Beitrag in MEER”&”YACHTEN 1-23 / Spring-Issue) und der RORC Caribbean 600 Series bis hin zur Antigua Classic Yacht Regatta und den Windward 500 – jede größere Insel hat ihre Regatta-Woche (oder mehrere), und jede hat ihren eigenen Charakter.

Die Heineken Regatta, die es seit 43 Jahren gibt, ist ein perfekt organisiertes Event für Regattaschiffe und ambitionierte Crews, und gleichzeitig kommen Familien- und Chartercrews auf ihre Kosten. Viele Cruiser-Racer, die in bareboat Charter angeboten werden, werden gleich fürs nächste Jahr gebucht. Die Heineken Regatta besteht aus zehn Wettfahrten, das Meldegeld beträgt 12 Dollar pro Fuß Bootslänge – ein Preis, der von den meisten als durchaus angemessen empfunden wird. Gesegelt wird in fünfzehn Klassen, und zwar, von Einheitsklassen wie der RS Zest und dem Diam 24 einmal abgesehen, nach der CSA-Formel, der etwa 60 Jahre alten Caribbean Sailing Association Rule.


Einst von einem britischen Kampfpiloten entwickelt, vereint sie heute mehrere Formeln in sich, und erteilt vier Sorten von Handicaps: 1. für Racer und sportliche Boote, 2. Multihulls, 3. Klassiker und 4. Fahrtenboote aller Art, deren Skipper keinen Wert auf eine penible Vermessung legen. „Funktioniert erstaunlich gut“, sagt Race Director Mark Townsend. Das liege auch daran, dass die karibischen Windverhältnisse – 15 Knoten stetiger Wind – als Erfahrungswert in die Rechnung eingehen. Der Nordost-Passat als Konstante.

Das gilt natürlich nur für die Segelsaison, die im Osten der Karibik, auf den Inseln über dem Winde, im Mai endet. Von Juni bis Ende November ist Hurrikan-Zeit, und 2017 erlebte St. Maarten ein Inferno, dessen Spuren noch heute zu sehen sind. Es gilt inzwischen als gesichert, dass der Klimawandel zu stärkeren Tropenstürmen und Hurricanes führt. Auch wenn ihre Zahl nicht zunimmt, sie werden intensiver. Irma wurde am 26. August 2017 als Wellenstörung über Afrika identifiziert, war vier Tage später bereits ein normaler Tropensturm, verwandelte sich innerhalb von nur zwölf Stunden von einem schweren Tropensturm in einen schweren Hurrikan und war, als der Kern am 6. September St. Maarten erreichte, der schwerste Hurrikan, der bis dato gemessen wurde. Er zerstörte Hotels, den Internationalen Flughafen und Marinas, verwandelte Straßen in reißende Flüsse, deckte Restaurants ab und entwurzelte jede Menge Bäume. Erstaunlicherweise ließ er ein Haus, das aussieht wie die Bastelburg eines Treibgutsammlers, intakt (heute fahren Touristenbusse daran vorbei.) Blickt man von einem Berg oder aus dem Flieger auf Marigot oder einen anderen Ort herab, fällt auf, dass praktisch alle Dächer neu sind.

„Vor sechs Jahren waren alle Häuser von oben blau – Plastikfolien“, erzählt eine Frau. Unmittelbar nach Irma kam es zu Plünderungen, Raub und anderen Untaten auf der Insel, und die Niederlande schickten 700 Soldaten. Weil Telefon, Rundfunk und Strom ausgefallen waren, wurde mit Flugblättern vor dem nächsten Tropensturm, Jose, gewarnt. Die anstehende Touristen-Saison, St. Maartens wichtigste Einnahmequelle, fand nicht statt. Heute sieht man noch hier und da abgedeckte Ruinen und verwüstete Grundstücke, aber alles in allem ist die Insel wieder tip-top in Ordnung. Auf der französischen Seite hat man sich etwas mehr auf den etwas höherpreisigen, ruhigen Tourismus verlegt, im südlichen, holländischen Teil, geht es amerikanischer und lebhafter zu.

Aber tatsächlich bekommt man, wenn man mit dem Auto auf der Insel unterwegs ist, kaum mit, wenn man vom einen Staatsgebiet in das andere wechselt. Es ist eine bewährte Strategie, in einem französischen Restaurant in Grand Case edel zu speisen und dann zum Feiern in den Soggy Dollar oder einen anderen Club im Süden zu fahren. Denn Sint Maarten oder Saint Martin, in den Regatta-Unterlagen durchgehend „St. Maarten“ geschrieben, ist ein zweistaatliches Gebilde und hat zwei Regierungen. Das funktioniert seit nunmehr 375 Jahren. 1648 war in der Alten Welt das Jahr der Friedensverträge. Nach jahrelangen Verhandlungen endete in Deutschland im Oktober offiziell der 30-jährige Krieg mit den Verträgen von Osnabrück und Münster, dem Westfälischen Frieden. Fünf Monate zuvor war, mit dem Frieden von Münster, der 80-jährige Krieg zwischen Spanien und der Republik der sieben Vereinigten Niederlande zu ende gegangen. Und noch etwas schneller waren die amtierenden Besatzer des zeitweise spanischen San Martin, die bereits am 23. März 1648 auf dem Berg der Eintracht, einem für karibische Verhältnisse bescheidenen 87-Meter-Hügel, die Teilung der Insel besiegelten. Der Norden sollte Frankreich, der Süden Holland gehören. Die Mitte mit den wertvollen Salinen und die geschützte Lagune im Westen nutzte man gemeinsam.

Auf eine konkrete Grenze, die jederzeit frei überschritten werden konnte, einigte man sich erst zweihundert Jahre später. Sie war für die Menschen auf der Insel von Bedeutung, als in Frankreich die Sklaverei verboten wurde und eine komplette Plantagen-Belegschaft in den Norden flüchtete. Die wütenden Holländer forderten ihre Rückkehr, aber der französische Gouverneur dachte nicht daran, freie Menschen an Sklavenhalter auszuliefern. Die Bewohner der Insel, ein Völkergemisch aus den Nachfahren von Afrikanern, Tainos, Kariben und Europäern, fühlen sich heute durchaus zusammengehörig. Auch wenn es hin und wieder lokalpolitisch knirscht, treten die örtlichen Regierungschefs gemeinsam für ihre wirtschaftlichen und umweltpolitischen Interessen ein. Der Süden ist etwas unabhängiger als der Norden, denn die ehemalige holländische Provinz Sint Maarten hat vor zwanzig Jahren den Weg in die Autonomie gewählt und ist jetzt – gleichberechtigt mit den Niederlanden, Curacao und Aruba – ein eigener Staat im Königreich der Niederlande. Der Norden, Saint-Martin, ist französisches Staatsgebiet, viele Amtsträger und Polizisten kommen aus Frankreich. Bei Verkehrskontrollen halten die „Flics“ aber bevorzugt weiße Autofahrer an, man muss ja nicht provozieren. Wenn die Kreuzfahrtschiffe wieder ausgelaufen sind, kehrt für einige Stunden Ruhe auf der Insel ein, allerdings beginnt dann, vor allem während der Heineken-Regatta, das Nachtleben. Das Motto der Regatta lautet: Serious fun, und das trifft’s ganz gut. Es wird ernsthaft gesegelt und es wird gründlich gefeiert.

Die Green Zone umfasst acht Locations, und das heißt: acht Bühnen, mit den gefragtesten DJs und Bands der umliegenden Inseln. Harry, ein älterer Karibik-Fan, behauptet, er habe noch nie so gute Bands gehört wie zwischen Jamaica (Rootz Underground) und Trinidad. Hin und wieder begegnet man Bands, die offiziell gar keine sind, sondern einfach verfügbare Musiker. Auf der Vergnügungsmeile südlich der Lagune, zwischen einer Redlight-Bar und einem Planters-Punch-Zelt, stehen die Leute bis auf die Straße und versuchen, sich beim Trinken und Musikhören nicht überfahren zu lassen.

Ein deutscher Skipper, der wegen eines Maschinenschadens im Hafen festliegt, bekommt den Tip, Thomas von „Zauber der Karibik“ anzurufen. „Der und seine Frau Angie, die kennen defintiv jeden auf der Insel“. Die zwei sind 2015 aus Norddeutschland ausgewandert und haben „seitdem keinen Moment Heimweh gehabt“. Sie haben inzwischen drei Firmen, machen Insel-Touren und Werbung, organsieren alles Mögliche und haben die Anzeigetechnik für die Regatta-Ergebnisse geliefert und installiert. Man heuert sie an, wenn etwas wirklich klappen muss. Tatsächlich hat der deutsche Skipper am nächsten Tag einen Fachmann an Bord, der sich um den Schaden kümmert.

Gebräunte, glückliche Gesichter. Blonde und graue Haare, schwarze Zöpfchen, rote Nasenrücken. Mitternacht, in der Bar intoniert die Band „Happy Birthday to you“, und die Sängerin und das Geburtstagkind, beide von der Insel, tanzen dazu. Wer hätte gedacht, dass in diesem oftgehörten Lied so viel Musik steckt. Vielleicht liegt’s auch an der karibischen Nacht. Noch knapp zehn Stunden bis zum nächsten Start. 20 Knoten Wind sind angesagt, ausnahmsweise mit ein paar Regenböen.


Kommentar verfassen